Dr. Tanja Gnosa, Zentrale Gleichstellungsbeauftragte der Universität Koblenz, Studium der Kommunikationswissenschaft, Psychologie und Betriebspädagogik mit Promotion zur Dr. phil. im Fach Kulturwissenschaft
1. Die Universität Koblenz hat kürzlich einen umfassenden Gleichstellungsplan veröffentlicht, worum geht es hier genau?
Zunächst einmal sind wir als Universität rechtlich verpflichtet einen Gleichstellungsplan zu veröffentlichen, dies muss jede Institution alle sechs Jahre tun. Für uns war es natürlich eine sehr schöne Gelegenheit, zum Start der „neuen“ Universität Koblenz zum 01.01.2023 den Status quo aufzuzeigen und zu analysieren, wie wir noch geschlechtergerechter werden können.
Gleichstellungspläne sehen immer gleich aus: Es gibt einen statistischen Teil, hier geht es um bestimmte Kennzahlen wie z.B. die Anteile von männlichen und weiblichen Studierenden sowie die Anteile der Absolventinnen, der weiblichen Promovierenden und die Geschlechterverhältnisse bei den abgeschlossenen Promotionen etc. bis hin zu den Frauenanteilen unter den Professuren. Aber wir haben hier z.B. auch Teilzeitanteile von Frauen und Männern analysiert. Außerdem haben wir die Geschlechterverhältnisse in der Verwaltung und auf den Führungsebenen der Universität in den Blick genommen.
Auf dieser Ausgangslage basierend definiert man dann Ziele. Das übergeordnete Ziel ist immer die Erreichung von Parität, wofür das rheinland-pfälzische Hochschulgesetz das Kaskadenmodell vorsieht, um das zu erreichen. Die Idee des Kaskadenmodells ist es, dass in einer Qualifikationsstufe der Frauenanteil genauso hoch sein soll wie in der Qualifikationsstufe davor, d.h. bei 40% Absolventinnen sollten es auch in der Stufe darüber 40% weibliche Promovierende geben.
Ausgehend von den Analysen und den daraus resultierenden Zielen haben wir Maßnahmen definiert. Bei uns ist es etwas anders als an älteren Universitäten, die meist nur die neu dazugekommenen Gleichstellungsmaßnahmen beschreiben. Ich habe aber alle vorhandenen und geplanten Maßnahmen an unserer Universität aufgelistet und neue konzipiert, natürlich in enger Zusammenarbeit mit vielen anderen Kolleg*innen.
Alle drei Jahre wird dieser Plan evaluiert und nach sechs Jahren erneuert.
2. Wie würden Sie Ihren Aufgabenbereich beschreiben?
Wie in allen öffentlichen Institutionen ist auch mein Aufgabenbereich sehr stark von Gesetzen und Regeln geprägt. Das Hochschulgesetz steht dabei über allen anderen und definiert sehr klar, wofür Gleichstellungsbeauftragte zuständig sind. Wir sollen die Hochschulleitung bei der Durchführung der tatsächlichen Gleichstellung von Männern und Frauen unterstützen und das insbesondere auf drei Feldern:
1. Beim Gender-Mainstreaming, d.h. der Überprüfung aller organisatorischen, personellen und sozialen Maßnahmen auf ihre unterschiedliche Auswirkung auf die verschiedenen Geschlechter. Hierzu ein Beispiel: Würde unser Senat, als wichtigstes Gremium der Universität, immer um 18 Uhr tagen, würde dies besonders Frauen betreffen, da die Care-Arbeit meist von Frauen erledigt wird und eine Kinderbetreuung, um diese Zeit eher schwierig zu organisieren ist.
2. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dies ist immer noch eines der größten Hemmnisse für die Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt.
3. Schutz vor sexualisierter Belästigung und Gewalt.
Das sind meine Aufgabenbereiche, bei deren Bearbeitung ich nicht weisungsgebunden bin. Das ist sehr wichtig, denn manchmal konfligieren die Ziele und Interessen unterschiedlicher Akteur*innen in solchen Institutionen.
Zu meinem Tagesgeschäft:
Ich bin bei allen Stellenbesetzungsverfahren, bei allen Versetzungen, bei allen personellen Maßnahmen zu beteiligen, außer bei denen, die die Fachbereiche direkt betreffen. Unsere Fachbereiche haben nochmal eigene Gleichstellungsbeauftragte, d.h. es gibt zentrale und dezentrale Beauftragte, dort geht es dann mehr um die fachspezifischen Anliegen.
Neben konzeptioneller Arbeit, z.B. neue Gleichstellungsmaßnahmen betreffend, nehme ich aber auch an vielen Gremien- und Arbeitsgruppensitzungen teil und versuche, die Gleichstellungsperspektive bei der Erarbeitung neuer Regeln und Richtlinien für Studium und Arbeit an der Universität zu verankern.
Ich führe zudem Beratungen von Studierenden, Professor*innen und Mitarbeitenden zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie zu sexualisierter Belästigung und Gewalt durch. Außerdem ist die zentrale Gleichstellungsbeauftragte laut Gesetz auch Anlaufstelle für Beschwerden nach dem AGG, also in Fällen von rassistischer Diskriminierung oder Diskriminierung aufgrund von Religion, Alter, Behinderung oder sexueller Identität oder Orientierung.
Gleichstellungsbeauftragte ist ein Amt, zu dem ich Anfang des Jahres erneut für drei Jahre bestellt worden bin. Aufgrund der Fülle an Aufgaben bin ich zu 100% von meinen Dienstaufgaben freigestellt.
3. Der Frauenanteil unter den Professuren ist bei Ihnen mit rund 41 Prozent besonders hoch (bundesdeutscher Vergleich 28 Prozent) und der höchste in Rheinland-Pfalz. Wie haben Sie es geschafft diese Vorreiterrolle einzunehmen?
Es lässt sich wohl nicht auf die eine konkrete Maßnahme zurückführen, dann wäre auch anderen Universitäten schnell geholfen 😊
Bei uns, würde ich sagen, spielt zunächst das Fächerspektrum eine große Rolle. Zwei unserer vier Fachbereiche sind Bereiche, in denen man traditionell eher Frauen findet.
Der Fachbereich 1: Bildungswissenschaften hat folgerichtig einen sehr hohen Frauenanteil, im Fachbereich 2: Philologie und Kulturwissenschaften herrscht Parität und wir verfügen über zwei weitere Fachbereiche, die eher im bundesdeutschen Durchschnitt liegen: die Fachbereiche 3: Mathematik/ Naturwissenschaften und 4: Informatik.
Aber es gibt auch andere Einflussfaktoren:
Zunächst ist hier die gute Arbeit der dezentralen Gleichstellungsbeauftragten zu betonen, die in allen Besetzungs- und den Berufungsverfahren dabei sind und immer wieder z.B. dafür Sorge tragen, in den Bereichen, in denen es weniger Bewerberinnen gibt, potenzielle Kandidatinnen proaktiv anzusprechen und sich zu bewerben.
Weiterhin beobachten wir aber auch die sogenannte „30%-Regel“: Wenn die Grenze von 30% des Anteils an einer Gruppe von einer marginalisierten Gruppe überschritten wird, dann ändert sich die Kultur, weil diese Teilgruppe ihre Perspektive dann wirklich in das Selbstverständnis der Gesamtgruppe einbringen kann. Das ist, glaube ich, in den Fachbereichen 1 und 2 schon der Fall und hat wiederum eine hohe Strahlkraft auf die anderen Fachbereiche.
Insofern kann man sagen, dass es insgesamt an der Universität Koblenz eine Kultur der Offenheit gibt, auch für Frauen in Führungspositionen.
Hinderlich für einen hohen Frauenanteil z.B. in MINT-Fächern sind aber oft strukturelle Hindernisse wie die schwierige Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder auch geschlechterstereotypische Vorstellungen davon, was Frauen können oder eher nicht. Darauf haben wir als einzelne Universität leider nur einen sehr begrenzten Einfluss.
4. Was unternehmen Sie, um den Anteil von Frauen z.B. in den MINT-Fächern zu stärken?
Wer Frauenanteile in MINT-Berufen stärken möchte, muss bei Schülerinnen ansetzen. Dafür gibt es ein ganz hervorragendes Projekt, das Ada-Lovelace-Projekt (ALP), das bereits 1997 vom Campus Koblenz ausgehend an der Universität Koblenz-Landau entstanden ist, und sich inzwischen über ganz Rheinland-Pfalz ausgebreitet hat.
Die Projektarbeit beinhaltet u.a. Besuche an Schulen und Ferienprogramme mit einem technischen oder naturwissenschaftlichen Bezug, ausschließlich für Schülerinnen. Sie sollen dabei spielerisch an die MINT-Themen herangeführt werden, um sich später im besten Fall für einen MINT-Studiengang zu entscheiden. Die Ferienprogramme sind für alle weiterführenden Schulformen ausgelegt und die Veranstaltungen finden entweder an der Uni oder an den Schulen statt. Durchgeführt wird das Projekt von Mentorinnen, das sind Studentinnen aus den MINT-Fächern. Inzwischen ist unter den weiblichen Studierenden im Fachbereich 3 Mathematik/ Naturwissenschaften der Anteil sogar über Parität, es entwickelt sich also positiv.
Die Grundidee dabei: Einer der Schlüssel für höhere Frauenanteile sind Vorbilder. Frauen müssen sehen, andere haben es vor ihnen geschafft. Oft sind Schülerinnen sogar besser in der Schule, auch in den MINT-Fächern – warum entscheiden sich dann so wenige für ein MINT-Fach?
Es geht dabei auch um die eigene Wahrnehmung: Mädchen, die gut sind im MINT-Bereich, sehen sich selbst eher als fleißig (Jungs dagegen als talentiert) an, und wenn es nicht gut läuft, reden Mädchen sich selbst ein, sie seien nicht talentiert. Wenn sich dann Schülerinnen für einen Weg entscheiden, klingt derjenige, bei dem es heißt, immer fleißig zu sein und sich anstrengen zu müssen, natürlich weniger attraktiv. Eigentlich müsste man schon viel früher an diesen sogenannten „Selbstattributionen“ arbeiten, aber leider sind diese stereotypischen Vorstellungen erstaunlich veränderungsresistent.
5. Im November 2023 haben Sie als Universität Koblenz die Charta „Familie in der Hochschule“ unterzeichnet, worum geht es hier genau?
Es ist nicht nur die Charta, die wir unterschrieben haben, sondern dahinter steht ein Verein, dem wir auch beigetreten sind. Dabei geht es um die Stärkung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und eine Selbstverpflichtung der Universität Koblenz. Wie ich vorher erwähnte, ist dies eines der größten Hemmnisse eine höhere Frauenquote zu erreichen oder Frauen in Führungspositionen zu bringen.
Wir wollen natürlich immer besser werden und für uns stand auch der Vernetzungsgedanke im Vordergrund: Es gibt 134 Institute, die dem Verein angehören und aus deren Fehlern, Erfahrungen und Projekten wir lernen können. Außerdem ist es auch ein Signal nach außen, dass wir uns weiterentwickeln möchten und so sichtbar werden für potenzielle Bewerberinnen, wie z.B. potenzielle Professorinnen, die an der Universität Koblenz interessiert sind.
Das Interview führt Katrin Schildhorn, Nachhaltigkeitsmanagerin bei der VR Bank RheinAhrEifel.
Quellen und Verlinkungen
Frage 4: https://ada-lovelace.de/
https://www.uni-koblenz.de/de/gleichstellung