Frau Prof. Dr. Kammerlander, seit 2015 sind Sie Institutsleiterin an der WHU. Was sind dabei Ihre Hauptaufgaben und was gefällt Ihnen an dieser Position besonders gut?
An der WHU verantworte ich als Institutsleiterin im Grunde drei Säulen: Forschung, Lehre und Praxistransfer, in den Fachbereichen Familienunternehmen und Mittelstand. Diese drei Säulen wirken permanent zusammen. Wir benötigen die neusten Forschungserkenntnisse, für unsere Vorlesungen aber auch für den Austausch mit den Unternehmen. Im Gespräch mit den Unternehmern erhalten wir neue Forschungsfragen, die wir dann verfolgen.
Was mir gefällt, ist besonders die Vielseitigkeit, es wird nie langweilig: Der Umgang mit ganz verschiedenen Menschen, jungen Studierenden oder Nachwuchskräften, die bald ins Familienunternehmen einsteigen. Der absolute Fokus der WHU liegt auf Exzellenz und Qualität: Die Kurse sind individuell und haben eine kleine Teilnehmerzahl.
Über 90% der Unternehmen in Deutschland sind Familienunternehmen. Wie hoch ist dabei der Anteil der Geschäftsführerinnen, ist die Nachfolge ausgewogen? Und wenn nein, woran könnte das liegen?
Leider ist die Nachfolge nicht ausgewogen, genaue Zahlen gab es in Deutschland dazu lange nicht. Wir wissen, dass es für Frauen grundsätzlich schwieriger ist eine Nachfolge anzutreten. Es gibt inzwischen zwei Studien1, die zeigen, dass weniger als 10% der Top-Positionen in Familienunternehmen von Frauen besetzt sind.
Dabei gibt es zwei Aspekte: Erstens, Frauen, die als Familien-Externe aufsteigen möchten, haben es in Familienunternehmen schwieriger, da dort meist traditionelle Kulturen vorherrschen. Moderne Unternehmenskulturen werden noch kritischer gesehen (Remote-Arbeit, Führung in Teilzeit, etc.). Familienunternehmen sind oft kleiner und nicht kapitalmarktgelistet, daher ist Führung hier klassischer und somit auch oft (noch) männlich geprägt. Dies bedeutet aber leider auch, dass der öffentliche Druck fehlt, Veränderungen herbeizuführen.
Zweitens, Töchter in aktiven Rollen von Familienunternehmen gibt es inzwischen häufiger. Ich hätte direkt eine Liste zur Hand von 15-20 sehr aktiven und engagierten Unternehmerinnen von Mitte 20 bis Mitte 40. Diese Frauen sind auch ausführlich in meinem Buch vorgestellt. Bisher ging die Unternehmensnachfolge typischerweise an den männlichen Erstgeborenen. Wobei hier in den letzten Jahren schon einiges passiert ist. Früher hat man es den Töchtern nicht zugetraut, mittlerweile traut man es ihnen zu, möchte sie aber schützen (der sog. benevolente Patriarchismus). Dabei geht um den Schutz vor 60-Stunden-Wochen, vor Verzicht auf Privatleben etc. Auch wenn dies natürlich gut gemeint ist, ist das Ergebnis am Ende das Gleiche: Frauen erhalten keine Führungspositionen im Familienunternehmen.
In Familienunternehmen zeigen sich viele Lebensläufe, die für die Frauen nicht linear verlaufen sind: Nach einer „ersten“ Karriere außerhalb des Familienunternehmens stieg die Tochter dann doch mit ein und führt das Erbe erfolgreich weiter.
International liegt Deutschland hier im Mittelfeld, Skandinavien ist etwas weiter, andere Länder hinken noch hinterher.
Sie forschen auch sehr viel an Ihrem Institut, der Begriff des Fachkräftemangels wird dabei eine große Rolle spielen. Frauen arbeiten oft in Teilzeit oder Minijobs. Wo sehen Sie dabei die Chancen für Unternehmen und Frauen Potenziale zu vereinen? Wie könnte die Arbeitswelt vielleicht „frauen- oder familienfreundlicher“ gestaltet werden?
Ich glaube, wir müssen weg von dieser Standardisierung. Wir tendieren in Deutschland oft zum „besten Standard“, ob für alle die Vier-Tage- oder Fünf-Tage-Woche die beste Variante sei. Oder ob für alle nun zwei oder drei Tage Home-Office ideal sind. Das Problem ist, dass das der klassischen Mutter oft nicht hilft. Es müssen individuelle Faktoren berücksichtigt werden, wie beispielsweise die Situation mit dem Partner, Betreuungsmöglichkeiten, KiTa- und Schulöffnungs- und Schließzeiten, oder ob die Großeltern in der Nähe wohnen. Auch das Alter der Kinder spielt eine wichtige Rolle. Die Voraussetzungen sind immer anders.
Es kann hier keine one-size-fits-all Lösung geben, sondern die Einzelfallentscheidung ist wichtig! Dabei müssen die individuellen Bedürfnisse berücksichtigt werden: Stundenzahl, Drei- oder eher Fünf- Tage-Woche, manche können eher abends tätig sein, andere morgens. Einige können nur aus dem Home-Office arbeiten, wieder andere kommen lieber zwei Tage am Stück ins Büro. Leider ist die Diskussion darüber noch sehr mühsam, weil sie vom Standard abweicht. Familienunternehmerinnen sind hier besonders offen, viele unterschiedliche Modelle aufzugreifen.
Viele wichtige Meetings finden allerdings noch in Randzeiten statt, für Teilzeitarbeitende ist es eine Herausforderung hier die Balance zu halten.
Es ist einiges im Umbruch: New Work, Nachhaltigkeit, mehr Sinnhaftigkeit im Berufsleben wird gefordert. Haben weibliche und männliche Studierende dabei unterschiedliche Anforderungen an das Studium und die neue Arbeitswelt? Welche Wünsche hat die junge Generation an deutsche Unternehmen?
Genau diese Themen sind für die junge Generation heute wichtig, Nachhaltigkeit ist dabei sehr entscheidend. Meine Hochschule hat nun ein Pro-Rektorat eingeführt, um die Ansprüche der Studierenden und aller anderen Stakeholder zu bedienen.
Zu den Anforderungen der Gen Z: Der Vorwurf kommt häufig, dass die junge Generation weniger engagiert sei, aber es ist differenzierter. Hier ist entscheidend, ob die anfallende Aufgabe einen Sinn hat: Routineaufgaben, die eher automatisiert werden könnten, bis hin zu Präsentationen, die am Ende wahrscheinlich keine Relevanz mehr haben. Dagegen ist das Engagement besonders hoch, wenn selbst mitgewirkt werden kann, also Impact vorhanden ist. Dies ist unabhängig vom Geschlecht und gleichzeitig der Hauptantreiber für die jungen Menschen, mehr noch als Geld oder Status.
Auch im Studium wird zu diesen Themen inhaltlich mehr gefordert. Früher ging es um Rendite- und Umsatzsteigerung, heute werden Fragen gestellt: Wie kann ich die Rendite steigern und gleichzeitig die Umwelt schützen? Wie kann ich den Gewinn maximieren und meine Mitarbeiterzufriedenheit steigern?
Was genau bedeutet die Position des Associate Dean for DEI and Sustainability? Wie kam es dazu, dass die WHU diese Position neu geschaffen hat? Was sind hier Ihre Aufgaben?
Wegen eines kürzlichen Rektoratswechsels haben wir überlegt, wie wir uns strategisch zukunftsorientierter aufstellen. Dabei sind besonders die zwei Themen Diversity und Sustainability herausgestochen. Diversity war vorher schon ein Teil meines Aufgabengebietes und da Sustainability für viele Familienunternehmen wichtig ist, habe ich dieses Thema auch von der Universitätsleitung übergeben bekommen. Der WHU war Diversity schon seit Gründungstagen wichtig – anfangs vor allem in Hinblick auf Internationalität, später kamen weitere Dimensionen wie Gender hinzu. Nachhaltigkeit ist für all unsere Stakeholder sehr relevant, wir liegen aktuell auf Platz 11 der SDG2 Publikationen gemäß einer Studie der Rotterdamer Universität.
Ziel ist es nun, alle Aktivitäten, die wir ohnehin schon unternommen haben, zu vereinen und weiterzuentwickeln, sowohl in Forschung, in Lehre als auch in Praxis. Dabei finde ich es persönlich sehr befriedigend, dass diese Fokusarbeit von allen Beteiligten überaus positiv aufgenommen wird, dies zeigt die große Einigkeit auf allen Ebenen.
Meine Aufgaben dabei sind es beispielsweise, die Strategie zu entwickeln und die Aktivitäten einzubinden, hinzu kommt noch die Koordination der einzelnen Bereiche. Perspektivisch soll es auch ein Sustainability Center geben, das Unternehmen und Studierende zusammenbringt, um Wünsche und Diskussionen aufzugreifen.
Sie haben im vergangenen Jahr mit Claudia Lässig und Claudia Rankers ein Buch veröffentlicht: „Gründen – Frauen schaffen Zukunft“. Warum brauchen Frauen ein extra Buch zum erfolgreichen Gründen?
Eine sehr gute Frage. Das Buch wird sowohl von Frauen als auch von Männern gelesen und ist inzwischen das zweite Buch zu diesem Thema, ein drittes ist in Arbeit.
Das erste Buch behandelt die Nachhaltigkeit: Wie eben bereits gesagt, es fehlt an Gründerinnen und Unternehmerinnen, also Role Models. Wenn junge Frauen sich fragen, wer ihr Vorbild sein könnte, haben sie nicht sofort andere erfolgreiche Frauen vor Augen. Dies beeinflusst automatisch ihre Ziele und am Ende auch ihre Entscheidungen und Karrierewege.
Daher wollten wir hier Rollenvorbilder vorstellen. Es gibt zahlreiche männliche Vorbilder und es ist auch sehr wichtig diese ebenfalls zu sehen, es braucht aber auch Platz für die inspirierenden Frauen, denen noch die Bühne fehlt.
Im zweiten Buch geht es um die Frage ob Frauen anders gründen. Und die Antwort ist; Ja, wahrscheinlich machen sie das an der einen oder anderen Stelle. Wir sehen durchaus, dass Frauen oft unter anderen Voraussetzungen starten. Einige gründen in Teilzeit oder im Nebenerwerb. Frauen werden auch oft andere Fragen gestellt hinsichtlich Venture Capital oder sie kalkulieren mit geringeren Kreditsummen. Wir stellen hier starke weibliche Role Models vor, die von ihren Gründungen berichten.
Neben diesen zahlreichen Aufgaben sind Sie auch noch Jury-Mitglied bei „Frauen im Mittelstand“. Worum geht es in diesem Wettbewerb und was zeichnet erfolgreiche Frauen dabei aus?
Der Wettbewerb ist im Zusammenhang mit unserem Buch zu sehen. Tatsächlich ist die Buchreihe aus diesem Wettbewerb entstanden; wir haben uns die Frage gestellt, wie wir Frauen sichtbarer machen können. Der Triggerpunkt dafür liegt ein paar Jahre zurück, als ich noch in der Schweiz war: Bei Gesprächen damals erfuhr ich, dass einigen Studentinnen Noten und Karriere gar nicht so wichtig waren, da sie, zum Zeitpunkt Anfang 20, vermuteten wohl nur eines von beidem haben zu können – Karriere oder Familie. Diese Aussage von jungen Frauen hat mich erschreckt und irritiert. Vorher hatte ich auch Privates und Berufliches strikt getrennt, das mache ich seitdem anders. Heute stelle ich mich als Professorin und Mutter vor.
Der Wettbewerb zeichnet dabei Führungsfrauen im Mittelstand aus: Nachfolgerinnen, Gründerinnen oder externe Managerinnen. Erfolgreiche Unternehmen, also Unternehmen, die auf der einen Seite finanziell erfolgreich, als auch nachhaltig aktiv, also besonders sozial oder ökologisch handeln, werden dabei prämiert.
Wir zeichnen Unternehmen aus, die einen wirklichen Beitrag zur Gesellschaft leisten, in dem sie sich z.B. intensiv über moderne Arbeitszeitmodelle Gedanken machen oder die Produktion seit Jahren mit erneuerbaren Energien betreiben.
Der Wettbewerb findet alle zwei Jahre statt und erhält Bewerbungen aus ganz Deutschland, die Resonanz von Verbänden und Presse ist dabei sehr positiv. Die nächste Auszeichnung findet im September in Mainz statt.
Seit 2022 sind Sie im Zukunftsrat Nachhaltige Entwicklung Rheinland-Pfalz von Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Wie dürfen wir uns diesen Rat vorstellen?
Der Rat ist ein unabhängiges Gremium, das von Malu Dreyer für diese Legislaturperiode ins Leben gerufen wurde. Die Mitglieder sind sowohl alters- als auch geschlechtergemischt: Einige Professoren aus unterschiedlichen Fachbereichen und von verschiedenen Hochschulen sind dabei, außerdem Unternehmer wie z.B. Herr Schneider von Werner & Merz GmbH aus Mainz, einer sehr nachhaltigen Firma. Aus Kommunen und Verbänden sind ebenfalls Vertreter involviert. Unsere Aufgabe ist es, die Landesregierung zu beraten und herauszufordern und mit eigenen Ideen im Land Rheinland-Pfalz voranzuschreiten. Wir haben im Mai dem Ministerrat ein erstes Arbeitspapier vorgestellt, in dem wir uns auf drei Themenbereiche fokussieren:
1. Strukturberatung – Wie kann die RLP-Nachhaltigkeitsstrategie bezüglich Vision, Governance und ähnlichen Themen noch verbessert werden – und wie soll mit Zielkonflikten umgegangen werden?
2. Bildung – keine nachhaltige Entwicklung ohne Bildung! Egal ob in KiTa, Schule, Ausbildung oder Hochschule – Nachhaltigkeit muss stets integriert werden
3. Ressourcenschonung – hier geht es vor allem um die Themen Dezentralisierung, Diversifizierung und Flexibilität. Besonders im Handwerk sollte das nachhaltige Denken noch intensiver eingebracht werden. Oder auch bei technischen Komponenten: Müllkraftwerke, Recycling etc. werden näher beleuchtet.
Einige Bundesländer haben auch einen solchen Rat, in Rheinland-Pfalz passiert hier schon einiges.
Sie sind selbst Mutter und haben bereits eine beeindruckende Karriere absolviert. Hand aufs Herz: Hat Ihr Tag mehr als 24 Stunden? Was ist Ihr Geheimrezept, dass beides gut funktionieren kann?
Also mehr als 24 Stunden hätte ich sehr gerne. Tatsächlich wurde ich das schon oft gefragt. Vereinbarkeit ist ein Marathon, kein Sprint. Vor der Geburt meiner Kinder habe ich alles durchgeplant und wollte alles regeln und vorbereitet sein, das funktioniert aber nicht.
Was es absolut braucht, ist ein gutes Netzwerk: Ein Partner, der unterstützt. Eine Tagesmutter, die einiges abnimmt oder eine KiTa, die mit guten Öffnungszeiten helfen kann. Andere haben eine(n) Au-pair-Angestellte(n) oder die Großeltern ganz in der Nähe, was bei uns nicht der Fall war.
Der zweite Punkt ist Flexibilität und out of the box denken. Meine Kinder waren schon hier im Büro, wenn die KiTa geschlossen war, oder sie waren bei Veranstaltungen dabei, bei denen die Organisatoren ausgeholfen haben. Wenn Plan A ausfällt, muss recht schnell Plan B hervorgeholt werden, auch wenn dieser nicht optimal ist. Es gibt immer Notfälle, bei denen man flexibel agieren muss.
Ansonsten habe ich meine Zeit so organisiert, dass ich vormittags viel im Büro bin und Termine wahrnehme, der Nachmittag und Abend gehört eher den Kindern und abends arbeite ich dann noch etwas. Am Wochenende gehört der Tag der Familie, das ist mir sehr, sehr heilig.
Ich habe hier auch persönliche Role Models, über Sportlerinnen, die sich durch schwere Zeiten gekämpft haben, bis hin zu einer Kollegin, die fünf Kinder unter einen Hut bringt und sehr erfolgreich im Job ist.
Welche Charakterzüge helfen Ihnen bei der täglichen Bewältigung von Aufgaben und Alltag? Was ist Ihr Trick 17, wenn viel los ist?
Flexibilität ist hier das Wichtigste. Termine werden verschoben oder neue Aufgaben kommen hinzu, deswegen sind schnelle ad-hoc-Lösungen notwendig.
Dennoch ist entscheidend, die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei habe ich gelernt, einen Umgang mit Unsicherheit zu pflegen. Zum Beispiel stelle ich Präsentationen zu Veranstaltungen wenige Tage zuvor fertig. Wenn es Anfragen gibt, diese Unterlagen wochenlang im Voraus zu schicken, ist dies zeitlich oft nicht möglich. Dafür habe ich dann aber kurz vor der Veranstaltung den Druck sie fertigzustellen. Jetzt darf nichts dazwischenkommen und ich muss mir selbst und auf diesen Druck vertrauen, dass am Ende alles gut geht. Aber alles durchzuplanen und vier Wochen vorher zu finalisieren ist nicht mehr möglich.
Inzwischen habe ich auch zu viele Aufgaben, um immer planmäßig um 17 Uhr nach Hause zu gehen, hier ist eben wieder Flexibilität gefragt.
Vielen Dank für dieses offene und spannende Interview und den Einblick in Ihre täglichen Strategien zu Work-Life-Balance.
Das Interview führte Katrin Schildhorn, Nachhaltigkeitsmanagerin bei der VR Bank RheinAhrEifel eG.
1zwei Studien zum Anteil von Frauen in Führungspositionen: AllBright-Stiftung, listet die größten 100 Familienunternehmen und vom Medienportal „Die Deutsche Wirtschaft“, die sich die größten 1000 Familienunternehmen in Deutschland anschaut
https://www.allbright-stiftung.de/
https://die-deutsche-wirtschaft.de/
2SDGs – Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen, 17 Nachhaltigkeitsziele, 2015 für die Agenda 2030 ins Leben gerufen